Aus dem Aktiven-Verteiler der Jungepresse Deutschland vom 09.08.2010:
JUNGE JOURNALISTEN „FREIWILLIG“ ABGEFÜHRT? JPBW FORDERT AUFKLÄRUNG
Die Polizei nahm zwei junge Journalisten im Rahmen ihrer Recherche bei den Demonstrationen zum Großprojekt „Stuttgart 21″ fest. Als sie eine Demonstration von Projektgegnern filmten, wurden sie mit Kabelbindern gefesselt und in Polizeigewahrsam genommen. Sie hatten sich eindeutig als Pressevertreter ausgewiesen und die Arbeit der Polizei in keiner Weise behindert. Dennoch forderten Polizisten sie bald auf, „freiwillig“ mitzukommen – um Berichterstattung über die Räumung des Bahnhofsgebäudes durch die Polizei zu verhindern? In einem gemeinsam mit der DJU (Deutsche Journalistinnen- und Journalisen-Union) verfassten offenen Brief fordern wir nun Aufklärung über den Fall.
An Herrn Dr. Wolfgang Schuster – Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart – Siegfried Stumpf – Polizeipräsident zu Stuttgart – den Einsatzleiter des Einsatzes Hauptbahnhof Stuttgart 21 DB Regio AG – Direktion Stuttgart
Sehr geehrte Herren,
die Deutsche Journalisten-Union in ver.di Baden-Württemberg und die Jugendpresse Baden-Württemberg im Lande kommen heute wegen der Behandlung und Behinderung zweier Journalisten-Kollegen anlässlich ihrer Berichterstattungsarbeit bei der Räumung des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofes am 26. Juli 2010 (Herren Ruben Neugebauer, Christian Grodotzki, Maik Hoffmann) auf Sie zu und bitten Sie, sich der aus unserer Sicht nicht akzeptablen Behandlung anzunehmen.
Gleichzeitig bitten wir Sie dafür Sorge zu tragen, dass Vertreter der Presse und dazu zählen wir auch die nachweislich als solche kenntlichen Schüler- und Jugendpresse-Vertreter bei Ihrer Arbeit um Stuttgart 21 künftig nicht mehr behindert werden.
In diesem Zusammenhang bitten wir Sie ferner,
* dass der Vorwurf des Hausfriedensbruchs gegen die Herren Neugebauer, Grodotzki und Hoffmann zurückgenommen wird, * dass eine öffentliche Aufklärung des Vorfalls und eine öffentliche Entschuldigung der Verantwortlichen für das Vorgehen der Polizei (die Festnahme von Jugend-Journalisten und der damit verbundenen Einschränkung der auch für sie geltenden Pressefreiheit sowie die unhaltbaren Bedingungen während ihres Gewahrsams) stattfindet.
Wir prüfen in diesem Zusammenhang eine Anzeige/Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Einsatzleiter bzw. die entsprechenden Beamten auf Grundlage folgender Tatbestände:
* Die Presse-Vertreter wurden relativ früh am Anfang der Räumung aus dem Raum geholt. Das betrachten wir als gezielten Versuch, die öffentliche Berichterstattung einzuschränken und somit als Verstoß gegen die Pressefreiheit.
* Der Polizeigewahrsam im Allgemeinen ist aus unserer Sicht aus mehreren Gründen rechtswidrig: Die Betroffenen haben sich als Journalisten ausgewiesen und es ging von ihnen keinerlei Gefahr aus. Sie begingen keine Straftaten, beteiligten sich nicht an den Protesten, behinderten nicht die Polizeimaßnamen und befolgten die Anweisungen der Polizei. Sie waren und sind objektive Berichterstatter des Geschehens im Sinne der Pressegesetze und auf der Grundlage der Richtlinien des Deutschen Presserates. Sofern die Polizei die Journalisten des Hausfriedensbruchs verdächtigt, hätte eine Kontrolle der Personalien ausgereicht. Der erfolgte Gewahrsam war (insbesondere auch nach der Personalien-Aufnahme vor Ort) in jeden Falle unangemessen. * Die Journalisten wurden mit Kabelbindern gefesselt. Dies war unverhältnismäßig, da sie im Rahmen ihrer Arbeit jederzeit mit der Polizei kooperierten bzw. deren Anweisungen jederzeit befolgten. Es gab keinen Anlass, die Betroffenen zu fesseln. * Herr Christian Grodotzki wurde unsachgemäß mit einem Kabelbinder und zu eng gefesselt. Dies führte zu Schmerzen und kleinen Hämatomen.
* Die Betroffenen wurden gefesselt, teilweise (trotz Hinweis) nicht angeschnallt und mit hoher Geschwindigkeit im Polizeiwagen transportiert. Dies stellt aus unserer Sicht eine fahrlässige Gefährdung ihrer Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit dar. Der Fahrer verweigerte auf Befragen die Angabe seines Namens, bzw. der Dienstnummer.
Zum Hergang der Räumung und der Festnahme der Journalisten:
Zum Zeitpunkt der Räumung befanden sich Christian Grodotzki, Ruben Neugebauer und Maik Hoffmann in dem Raum, in dem sich die Demonstranten sitzend und singend versammelt hatten, um die Räumung zu fotografieren/zu filmen. Ausdrücklich als Journalisten gekennzeichnet wurden sie, ebenso wie die anderen Vertreter der Presse, nicht aufgefordert das Haus zu verlassen.
Im Gegenteil, als Herr Ruben Neugebauer den Raum verlassen wollte, um im Vorraum aus einer anderen Perspektive zu fotografieren wurde er von den Polizisten zurückgewiesen, da er dort den Einsatz behindern würde.
Auf die Nachfrage von Herrn Neugebauer sagte ein Polizist „Da drinnen (dem Raum in dem sie sich befanden) können Sie filmen.“ (Diese Szene wurde auf Video aufgezeichnet)
Kurz darauf wurden die Journalisten ohne Vorwarnung aufgefordert „freiwillig mitzukommen“. Die Rückfrage, ob sie nicht am Ende der Räumung „freiwillig mitkommen“ könnten, wurde von der Polizei verneint. Daraufhin sind sie ohne in irgendeiner Form sich zu widersetzten mit den Polizisten mitgekommen (auch diese Szene wurde auf Video festgehalten).
Dann wurde den Journalisten mitgeteilt, dass sie festgenommenen seien und wurden mit Kabelbindern gefesselt.
Wir sehen in dieser Behandlung eine Behinderung der Presse, auch wenn es sich „nur“ um Kollegen der Jugendpresse handelt. Denn zu den Veranstaltungen, in den Publikationen, den Kongressen der jungen Kolleginnen und Kollegen wird nachdrücklich von den Vertretern der Städte, Parteien, Regierungen und Organisationen hervorgehoben, wie wichtig es sei, dass sich die Jugend frühzeitig an einer freiheitlichen Presse beteilige und damit der Jugend ein positives Beispiel gebe. Wir erinnern uns dabei noch recht gut auch an den Kongress der Jugendpresse vor einigen Jahren in den Räumen des Stuttgarter Rathauses und die Grußworte der Stadt Stuttgart.
Sehr geehrte Herren. Die Schilderung der Vorkommnisse ist eindeutig.
Wir bitten Sie, der Pressefreiheit den Stellenwert einzuräumen, der ihr gebührt, und in Ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen diese Umstände aufzuklären und den jungen Kollegen die Vorbilder zu sein, die sie in einem demokratischen Rechtsstaat erwarten dürfen.
Wir hoffen auf die klärenden Worte und Taten.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Manthey – Fachbereich Medien, Kunst und Industrie ver.di Baden-Württemberg – Kai Mungenast – Jugendpresse Baden-Württemberg